Lkw-Abbiegeassistent besteht Bremstest
09.07.18 Service

Schutz im toten Winkel

Technik im Dienst der Verkehrssicherheit: Die Frankfurter FES stattet Müllfahrzeuge freiwillig mit Abbiegeassistenten aus, die Radfahrer im toten Winkel erkennen und damit helfen, schwere Unfälle zu vermeiden.

Wie der elektronische Abbiegeassistent Unfälle verhindert

Immer wieder erscheinen Meldungen über fatale Lkw-Abbiegeunfälle, bei denen Fußgänger und Radfahrer getötet oder schwer verletzt wurden. Die Fahrzeugflotte der Frankfurter Entsorgungs-Service GmbH (FES) ist davon bisher verschont geblieben. Das soll auch so bleiben. Aus diesem Grund lässt der Eigenbetrieb der Stadt Frankfurt am Main seit dem Herbst 2017 alle neu angeschafften Müllfahrzeuge mit elektronischen Abbiegeassistenzsystemen ausrüsten, erläutert Stefan Kratz, Fuhrparkleiter bei der FES. Die Technik ist in der Lage, Radfahrer und Fußgänger im toten Winkel zu erkennen und den Fahrer zu warnen, um das Schlimmste zu verhindern.

Gruppe bei FES-Vorführung

Von links: Dr. Susanne Neumann und Eckehard Wolf vom Vorstand des ADFC Frankfurt lassen sich von Stefan Kratz, Norman Wiesener und Kraftfahrer Max Schiewe (alle FES) die Funktionsweise des Lkw-Abbiegeassistenten in den FES-Fahrzeugen erläutern.

Die Entscheidung der FES für diese Sicherheitstechnik ist freiwillig gefallen – und damit kann das Unternehmen der Stadt Frankfurt Vorbild für andere sein. Für den Einbau von Abbiegeassistenzsystemen in Entsorgungsfahrzeuge gibt es nämlich noch keine gesetzliche Verpflichtung. "Früh morgens sicher raus, abends wieder sicher rein – über alles andere lässt sich reden", fasst Norman Wiesener, bei der FES für die technische Ausstattung der Fahrzeuge zuständig, das wichtigste Ziel, das das Unternehmen jeden Tag verfolgt, zusammen.

Jedes fünfte FES-Müllfahrzeug hat die neue Technik an Bord

Sicherheit ist aber nicht nur für alle, die im Straßenverkehr vor Unfällen mit den schweren Fahrzeugen geschützt werden, ein hohes Gut. Die FES will auch ihre eigenen Mitarbeiter davor in Schutz nehmen. Das hat eine menschlich-ethische, allerdings auch eine wirtschaftliche Komponente: Schließlich ist ein Fahrer, der ein schweres Unfallgeschehen zu bewältigen hat, nicht sofort wieder voll im Dienstplan einsetzbar. Daher ist die Investition in Abbiegeassistenzsysteme sogar betriebswirtschaftlich gut begründbar. Um die Dimension zu verdeutlichen: Die Anschaffungskosten für ein Müllfahrzeug in Höhe von gut 200.000 Euro erhöhen sich durch das 2.000 Euro teure Abbiegesystem um nur knapp ein Prozent.

Auch wenn die Rollen sehr ungleich verteilt sind – letztlich sitzen Kraft- und Radfahrer im selben Boot. Während man die bedrohliche Präsenz eines drei- oder vierachsigen Lkw im Stadtverkehr täglich erleben kann, erschließt sich die Führerhaus-Perspektive für Fußgänger und Rad Fahrende nicht so ohne Weiteres. Daher lud die FES das Radfahrbüro und Aktive des ADFC Frankfurt zu einer praktischen Vorführung der Lkw-Abbiegeproblematik – und ihrer Lösung ein.

Sensor mit Abdeckung

Der Sensor befindet sich hinter der schwarzen Abdeckung.

Hinter einer schwarzen Kunststoffblende an der rechten Seite des Fahrzeugs verbirgt sich der Sensor, der Verkehrsteilnehmer auch im toten Winkel des Führerhauses aufspürt, erläutert Norman Wiesener. Soweit die Theorie. Um zu verstehen, wie das in der Praxis funktioniert, nimmt der eine Teil der Radverkehrsexperten im Führerhaus des Müllwagens Platz, der andere beobachtet die Vorführung von außen.

Erhöhte Sitzposition im Lkw

Bedeutet eine hohe Sitzposition auch einen besseren Überblick über das Verkehrsgeschehen? Wer einmal selbst auf dem Fahrersitz Platz genommen hat, erkennt, dass dies keineswegs so ist.

Harte Vollbremsung nach Bruchteilen einer Sekunde

Warnsignal aus und an

Die Innensicht: Der Wagen fährt geradeaus, eine Weile lang ist nichts Ungewöhnliches ist zu beobachten. Plötzlich blinkt eine dreieckige Lampe am rechten Rand der Windschutzscheibe gelb auf. Das System hat offenbar einen Fußgänger oder Radfahrer rechts vom Fahrzeug erkannt.

Radler löst Signal aus, ohne im Spiegel sichtbar zu sein

Da ist im Außenspiegel noch nichts von ihm zu sehen. Als der Fahrer wenig später das Lenkrad rechts einschlägt und leicht aufs Gaspedal tippt, wird das Dreieck sofort alarmrot, und ein lauter Pfeifton ertönt. Nach Bruchteilen einer Sekunde hängen alle Insassen der Fahrerkabine stramm in den Sicherheitsgurten. Der Radfahrer, der sich unsichtbar im toten Winkel aufgehalten hat, rollt unversehrt am tonnenschweren Müllfahrzeug vorbei. "Das war eine richtig harte Vollbremsung", erläutert Kraftfahrer Max Schiewe. Und nach draußen ruft er: "Keine Sorge, ich hätte auch ohne das Warnsignal gebremst." Doch das Signal hatte sich zuverlässig gemeldet – und es war nicht zu ignorieren.

Lkw-Abbiegeassistent besteht Bremstest

In der Außensicht zeigt sich noch deutlicher, dass ein sich von rechts nähernder Radfahrer oder Fußgänger das schwere Nutzfahrzeug regelmäßig zum abrupten Abstoppen bringt. Das System überzeugt alle Anwesenden restlos.

Natürlich verlässt sich die FES nicht allein auf die Technik. Alle Kraftfahrer erhalten regelmäßig Fahrtechnik-Trainings, welche die FES in eigener Regie durchführt, damit auch Fahrzeuge ohne elektronischen Abbiegeassistent sicher durch den Verkehr bewegt werden können. Dazu gehört es auch, dass der Beifahrer wachsam ist und durch seinen zusätzlichen Blickwinkel als eine Art menschlicher Abbiegeassistent fungiert.

Beifahrer-Aufkleber

Und auch Rad Fahrende können durch ihr Verhalten helfen, gefährliche Situationen zu minimieren: An roten Ampeln sollte man keineswegs direkt neben einem Lkw halten. Besser stellt man sich gut sichtbar davor auf – und zwar so, dass man selbst den Fahrer hinter der Windschutzscheibe sehen kann – oder man bleibt hinter dem Fahrzeug und beobachtet genau, ob er rechts abbiegt. In diesem Fall sollte man ihm – trotz eigenem Vorrang – mit sicherem Abstand vorbei lassen.